BRIEF AN PRÄSIDENT MACRON

TEIL 3: RECHTLICHE ANALYSE UND SCHLUSSFOLGERUNG

RECHTLICHE ANALYSE

Die Richtlinie von 2011 – hochspezialisierte Behandlungen für seltene Krankheiten

Rechtlich gesehen, taucht der medizinische Standard die „gleiche oder eine ebenso wirksame Behandlung“, den die L’Assurance Maladie auf Lysianes S2-Antrag anwendete und der die Grundlage für die Ablehnung der TGP-Behandlung bildete, nirgendwo in der Richtlinie von 2011 auf. Vielmehr leitet sich dieser Standard aus Fällen ab, die vom Europäischen Gerichtshof entschieden wurden. Dabei handelte es sich um Fälle, in denen EU-Bürger in einem anderen EU-Mitgliedstaat, also außerhalb ihres Versicherungsmitgliedstaats, eine grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung suchten oder erhielten. Dies waren in der Regel EU-Bürger, die in einen anderen EU-Mitgliedstaat gereist waren, um eine herkömmliche, medizinische Versorgung für allgemeine Erkrankungen zu erhalten. Ein Fall beispielsweise betraf eine Person, die in einem anderen Mitgliedsstaat eine Brille gekauft hatte, da ihr in ihrem Heimatstaat die Erstattung verweigert wurde. Ein weiterer Patient war in einen anderen EU-Mitgliedstaat gereist, um eine Zahnbehandlung zu erhalten. In einem anderen Fall ging es um einen Patienten mit Hüftarthrose und in einem weiteren Streitfall litt eine Frau an Schmerzen im rechten Handgelenk.

Gelegentlich wurde EU-Bürgern die Genehmigung oder die Erstattung für experimentelle, medizinisch unbewiesene Behandlungen verweigert. So wollte ein Patient in einem anderen EU-Mitgliedstaat eine „psychosomatische Schmerzbehandlung“ erhalten.

In keinem dieser Fälle des Europäischen Gerichtshofes suchte der Patient eine medizinisch nachgewiesene Behandlung für eine seltene Erkrankung – und es handelte sich auch bei keinem der Antragsteller um ein Neugeborenes, das an einer seltenen Krankheit leidet und an einer Beatmungsmaschine angeschlossen auf der Neugeborenen-Intensivstation liegt. Es gibt einen Grund, warum ein solcher Fall den Europäischen Gerichtshof nie erreicht hat. Die Richtlinie 2011/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2011 über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung „…zielt darauf ab, Regeln zu schaffen, die den Zugang zu einer sicheren und hochwertigen grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung erleichtern…“ Sie beschreibt, dass:

„…die große Mehrheit der Patienten in der Union Gesundheitsdienstleistungen in ihrem eigenen Land in Anspruch nimmt und dies vorzieht. Unter bestimmten Umständen könnten Patienten jedoch die Inanspruchnahme bestimmter Formen der Gesundheitsversorgung in einem anderen Mitgliedstaat anstreben. Dazu gehören beispielsweise hoch spezialisierte Leistungen…“

Gerade Patienten mit einer seltenen Erkrankung benötigen typischerweise eine hochspezialisierte, grenzüberschreitende Behandlung. Für diese Patienten ist die grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung weder eine Frage persönlicher Vorlieben, noch ist sie ein Mittel, um die Möglichkeiten der Beschränkungen der Verordnung 883 und des EU-Rechts auszuloten. Sie ist vielmehr der dringende Versuch, eine lebensverändernde und möglicherweise lebensrettende Behandlung ihrer seltenen Krankheit zu erhalten. Oft sind die gesuchten hochspezialisierten Behandlungen nur an bestimmten, begrenzt vorhandenen und geografisch entfernten Orten bzw. „Kompetenzzentren“ verfügbar. Aufgrund der Schwere ihrer seltenen Erkrankung und des Mangels an vor Ort vorhandenem Fachwissen, sind Patienten mit seltenen Erkrankungen bereit, diese hochspezialisierten Wissenszentren aufzusuchen, egal, wo sich diese befinden.

Auf Grundlage der durch die Richtlinie von 2011 anerkannten, besonderen Bedürfnisse dieser Patienten mit seltenen Krankheiten, bestehen laut Artikel 13 („Seltene Krankheiten“) dieser Richtline „die Möglichkeiten im Rahmen der Verordnung (EG) Nr. 883/2004, Patienten mit seltenen Krankheiten in andere Mitgliedstaaten zu überweisen, auch für die Diagnose und für Behandlungen, die im Versicherungsmitgliedstaat nicht verfügbar sind.

Während es in der Richtlinie von 2011 vor allem um die Wahlfreiheit des Patienten geht, wir dieses Privileg – das Recht, eine hochspezialisierte Behandlung in einem anderen EU-Mitgliedsstaat zu wählen – an keiner Stelle deutlicher hervorgehoben, als in Artikel 13, „Seltene Krankheiten“.

CLEISS, die gemäß der Richtlinie von 2011 nationale französische Kontaktstelle, bestätigt dieses besondere Wahlrecht für EU-Bürger mit einer seltenen Krankheit:

„Medizinische Versorgung und Erstattung

Patienten, bei denen eine seltene Krankheit diagnostiziert oder vermutet wird, haben im Rahmen der Verordnungen Nr. 883/04 und Nr. 987/09 Anspruch auf Zugang zu medizinischer Versorgung in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder des Europäischen Wirtschaftsraums (Island, Liechtenstein und Norwegen), auch wenn die Diagnose und/oder Behandlung im Zugehörigkeitsstaat des Patienten nicht verfügbar ist.“

Französisches Original:
„Prise en charge et remboursement

Les patients affectés ou soupçonnés d’être affectés d’une maladie rare ont le droit d’accéder à des soins de santé dans un autre Etat de l’Union Européenne ou de l’Espace Economique Européen (Islande, Liechtenstein et Norvège) et d’être remboursés dans le cadre des règlements (CE) n° 883/04 et n° 987/09, même si le diagnostic et/ou le traitement en question n’est pas disponible dans leur Etat d’affiliation.“

Gefunden hier: https://www.cleiss.fr/particuliers/venir/soins/ue/maladies-rares.html

Unsere Tochter Lysiane wurde mit einer seltenen Krankheit geboren. Sie ist eine Patientin „mit Gesundheitsproblemen, die eine besondere Konzentration von Fachwissen erfordern und in medizinische Bereiche fallen, in denen es nur wenige Sachverständige gibt…“ (Richtlinie 2011, Artikel 12, „Europäische Referenznetzwerke“). Auf dieser Grundlage wird Lysiane gesetzlich ein größerer Spielraum bei der Wahl einer entsprechenden Spezialbehandlung für ihre seltene Krankheit gewährt.

Im Rahmen einer seltenen Krankheit geht es nicht um die Verfügbarkeit vorhandener Behandlungsmöglichkeiten in Frankreich. Es geht vielmehr um das Lysiane gesetzlich garantierte Recht, sich für eine hochspezialisierte und medizinisch nachgewiesene Behandlung zu entscheiden, die in Frankreich nicht verfügbar ist. Genau darum dreht es sich in Artikels 13 der Richtlinie von 2011.

Die vier Grundfreiheiten der EU

Die mit diesem Streitfall verbundenen Gesetze und Rechte gehen über die Richtlinie von 2011 hinaus. Sie entspringen vielmehr dem zentralen Ziel der EU selbst. Im Mittelpunkt des europäischen Projekts stehen die Bemühungen zur Schaffung eines einheitlichen EU-Binnenmarktes. Die vier Grundfreiheiten der EU – freier Warenverkehr, Dienstleistungsfreiheit, Personenfreizügigkeit und freier Kapital- und Zahlungsverkehr – bilden die Grundlage für diesen Binnenmarkt.

In den damit in Zusammenhang stehenden Fällen 286/82 and 26/83, Luisi und Carbone, hat der Europäische Gerichtshof ausdrücklich bestätigt, dass die fundamentale EU-Freiheit der Dienstleistungsfreiheit, nicht nur erbrachte, sondern auch empfangene Dienstleistungen beinhaltet. Er führt aus, dass:

„…der freie Dienstleistungsverkehr die Freiheit der Leistungsempfänger einschließt, sich zur Inanspruchnahme einer Dienstleistung in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben, ohne durch Beschränkungen…daran gehindert zu werden…“

In der gleichen Reihe damit in Zusammenhang stehender Fälle, hat der Europäische Gerichtshof ebenfalls erklärt, dass:

„…Personen, die eine medizinische Behandlung in Anspruch nehmen… als Empfänger von Dienstleistungen anzusehen sind.“

Zusätzlich zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs erinnert die Richtlinie von 2011 die Mitgliedstaaten daran, dass Gesundheitsdienstleistungen von der grundlegenden Freiheit der Erbringung und des Erhalts von Dienstleistungen in der EU erfasst werden:

„Wie der Gerichtshof bekräftigt hat, führt weder ihre besondere Natur noch ihre Organisation oder ihre Finanzierung dazu, dass Gesundheitsdienstleistungen nicht unter den elementaren Grundsatz der Dienstleistungsfreiheit fallen.“

Deshalb besitzen EU-Bürger – basierend auf der grundlegenden Freiheit, Dienstleistungen zu erbringen und zu empfangen, wie im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, Artikel 56, festgelegt und wie vom Europäischen Gerichtshof wiederholt in mehreren Entscheidungen bekräftigt – ein für alle Mitgliedstaaten gesetzlich bindendes, grundlegendes Recht auf den Empfang von Dienstleistungen, einschließlich medizinischer Dienstleistungen in anderen EU-Mitgliedstaaten, ohne dass man sie willkürlich, ungerechtfertigt und ungebührlich daran hindert.

Die vier Grundfreiheiten nehmen im EU-Recht einen ganz besonderen Stellenwert ein. Peter Altmaier, deutscher Minister und Angela Merkels wichtigster Berater in den Brexit-Verhandlungen, hat dies kürzlich folgendermaßen erklärt:

„Diese vier Grundfreiheiten sind das Herzstück des Binnenmarktes … Das bedeutet, dass jedes Land, das am Binnenmarkt teilnehmen möchte, grundsätzlich den Binnenmarkt akzeptieren muss, so wie er existiert.“

Die Annahme des Binnenmarkts in seiner jetzigen Form erfordert, diese vier Grundfreiheiten jedes Unionbürgers uneingeschränkt zu respektieren.

Da die vier Grundfreiheiten für die Verwirklichung des EU-Binnenmarktes so entscheidend sind, werden sie rechtlich als eine Art rote Linie behandelt. Wird ein EU-Mitgliedstaat wegen Behinderung einer der vier Grundfreiheiten vor den Europäischen Gerichtshof gebracht, unterwirft der Gerichtshof die ergriffenen Maßnahmen des Mitgliedstaats einer strengen rechtlichen Kontrolle. Der EU-Mitgliedstaat muss dem Europäischen Gerichtshof genau erklären, wie und warum die Behinderung objektiv gerechtfertigt war. Der EU-Mitgliedstaat muss darüber hinaus auch überzeugend nachweisen, dass er bei der Verletzung der vier Grundfreiheiten, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen, nicht das objektiv Nötige überschritten hat. Das Ziel darf dabei nicht vage oder zufällig gewählt werden, sondern muss spezifisch und legitim sein. Der Mitgliedstaat wird den Gerichtshof sogar davon überzeugen müssen, dass er mit weniger restriktiven Maßnahmen nicht dasselbe, wichtige und legitime Ziel erreicht hätte.

Kurz gesagt: Wenn ein EU-Mitgliedstaat eine der vier Grundfreiheiten der EU behindert, wird dieser EU-Mitgliedstaat viel zu erklären haben.

Große Verwaltungsapparate mögen es für gewöhnlich nicht, wenn ihre Macht und ihre Ermessensfreiheit eingeschränkt werden. Dieser Grundsatz ist allgemeingültig und gilt auch für die Sozialversicherungssysteme der verschiedenen EU-Mitgliedstaaten. Die sozialen Sicherungssysteme der EU, die vor dem Europäischen Gerichtshof verhandelt wurden, versuchten mehrfach erfolglos, ihre Behinderung mit folgendem Argument zu rechtfertigen: „Jeder EU-Mitgliedstaat ist für die Organisation seines eigenen sozialen Sicherungssystems verantwortlich. Wie wir diese Verantwortung wahrnehmen, ist einzig und allein unsere Angelegenheit. “

Ein Glück für EU-Bürger, dass dieses Argument nicht greift. Jeder einzelne EU-Mitgliedstaat muss das System der sozialen Sicherheit im Einklang mit dem EU-Recht verwalten. Das bedeutet, dass die Entscheidungen des Systems der sozialen Sicherheit nicht gegen EU-Recht und insbesondere nicht gegen die vier Grundfreiheiten der EU verstoßen dürfen. Dies wurde vom Europäischen Gerichtshof in der Rechtssache Watts, C372/04, sehr deutlich formuliert:

„Zwar steht fest…das Recht jedes Mitgliedstaats bestimmt, unter welchen Voraussetzungen Leistungen der sozialen Sicherheit gewährt werden; gleichwohl müssen die Mitgliedstaaten bei der Ausübung dieser Befugnis das Gemeinschaftsrecht beachten, insbesondere die Bestimmungen über den freien Dienstleistungsverkehr… Diese Bestimmungen untersagen es den Mitgliedstaaten, ungerechtfertigte Beschränkungen der Ausübung dieser Freiheit im Bereich der Gesundheitsversorgung einzuführen oder beizubehalten.“

Die sozialen Sicherungssysteme der EU-Mitgliedstaaten dürfen ihre Macht nicht nach Belieben, sondern vielmehr im Einklang mit europäischem Recht ausüben. Der Europäische Gerichtshof erläutert:

„Nach ständiger Rechtsprechung kann ein System der vorherigen Genehmigung keine Ermessensausübung der nationalen Behörden rechtfertigen, die geeignet ist, den Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts, insbesondere wenn sie eine Grundfreiheit wie die in Rede stehende betreffen, ihre praktische Wirksamkeit zu nehmen.“

Die sozialen Sicherungssysteme der EU-Mitgliedstaaten müssen jederzeit das EU-Recht, insbesondere die vier Grundfreiheiten, einhalten, befolgen und respektieren.

Artikel 8 der Richtlinie von 2011, erinnert die Mitgliedstaaten an die Unverletzlichkeit der vier Grundfreiheiten der EU. In diesem Artikel werden sie auch auf die Rechtsverbindlichkeit der Entscheidungen des Gerichtshofs hinsichtlich der grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung hingewiesen. Hierbei werden dieselben Formulierungen und Begriffe verwendet, die der Gerichtshof selbst bei der Entscheidung über diese Fälle genutzt hat:

„…Einzelentscheidungen, mit denen eine Vorabgenehmigung verweigert wird, bleiben auf das im Hinblick auf das zu erreichende Ziel notwendige und angemessene Maß begrenzt und dürfen kein Mittel willkürlicher Diskriminierung und keine ungerechtfertigte Behinderung der Freizügigkeit der Patienten darstellen.“

Im Fall unserer Tochter Lysiane besteht die in Frankreich verfügbare Behandlung für deren seltene Krankheit darin, dass sie an ein Beatmungsgerät angeschlossen im Krankenhaus bleibt. Lysiane steckte fünf Wochen lang auf einer französischen Intensivstation fest, ohne Aussicht auf Entlassung. Da die Beatmungsunterstützung in der Regel einen langfristigen Krankenhausaufenthalt erfordert, verursacht die französische Behandlungsmethode kolossale Kosten für das Gesundheitssystem. Die hochspezialisierte TGP-Behandlung in Deutschland hingegen behebt medizinisch nachgewiesen die Ursache der Obstruktion der oberen Atemwege, die mit dieser seltenen Krankheit in Verbindung gebracht wird, und befreit das Kind augenblicklich vom Beatmungsgerät und damit auch sicher und effektiv von einem langfristigen Krankenhausaufenthalt. Diese Tatsache macht die TGP-Behandlung zu einem kostengünstigen, medizinischen Durchbruch bei der Behandlung dieser seltenen Krankheit.

Auf Grundlage dieser Fakten und der bestehenden Gesetzeslage muss man sich fragen, was die L’Assurance Maladie mit der Ablehnung von Lysianes Antrag auf TGP-Behandlung erreichen wollte? Das von der L’Assurance Maladie angestrebte Ziel muss legitim sein, weshalb folgendes Argument nicht greifen kann: „Unser Ziel war es, Geld zu verschwenden. Es war notwendig und angemessen, Lysiane dazu zu zwingen, in Frankreich an das Beatmungsgerät angeschlossen und langfristig im Krankenhaus zu bleiben, um unser Ziel der Geldverschwendung zu erreichen.“

Da das Ziel legitim sein muss, kann die L’Assurance Maladie auch nicht sagen: „Unser Ziel bestand darin, den freien Platz auf den neonatologischen Intensivstationen in Frankreich zu nutzen, um Lysiane am Beatmungsgerät zu halten, dem unnötigen Risiko von Krankenhauserregern und damit verbundener Infektionen auszusetzen und sie, so lange wie möglich, von ihren Eltern zu trennen.“ Indem man die Ablehnung der L’Assurance Maladie in Worte fasst wird deutlich, wie irrational die Ablehnung Lysianes S2-Antrag auf TGP-Behandlung war.

Die unlogische Ablehnung der hochspezialisierten, medizinisch nachgewiesenen und kostengünstigen TGP-Behandlung für die seltene Krankheit unserer Tochter durch die L’Assurance Maladie, ist ein deutliches Beispiel für die Art ungerechtfertigter Behinderung der fundamentalen Freiheit der Erbringung und des Empfangs von Dienstleistungen, die der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union und die Richtlinie von 2011 verbietet, und die der Europäische Gerichtshof in vielen Fällen jahrelang entschieden abgewiesen hat.

Indirekt diskriminierender Effekt

Im Sinne der Schaffung eines einheitlichen EU-Binnenmarktes, dürfen staatliche Akteure in der EU keinen Einfluss auf den Markt ausüben. Ein Beispiel: Die britische Regierung versucht, ihre britischen Verbraucher dazu zu bringen, mehr im Inland produziertes englisches Bier zu trinken, als importierten französischen Wein. Deshalb erlässt sie plötzlich eine hohe Einfuhrsteuer auf alle, in das Vereinigte Königreich importierten Weine – was in der EU-Praxis zum sogenannten „indirekt diskriminierenden Effekt“ führt. Die auf den eingeführten Wein erhobene Steuer würde, auch wenn sie die französischen Erzeuger nicht direkt betrifft, den französischen Weinbau benachteiligen, da der Preis für französischen Wein in Relation zum im Inland produzierten englischen Bier, enorm steigen würde. Diese Marktbeeinflussung – wenn auch subtil und indirekt – ist in der EU verboten.

Das Pierre-Robin-Referenzzentrum am Necker-Krankenhaus in Paris hat seit mindestens fünf Jahren die Mauer zwischen Pierre-Robin-Sequenz-Patienten in Frankreich und qualifizierten Gesundheitsdienstleistern in Deutschland aufrechterhalten. Diese Politik richtet sich nicht explizit gegen deutsche Anbieter von Medizinprodukten oder Gesundheitsdienstleistungen. In der Praxis wirkt sich diese Politik jedoch indirekt diskriminierend auf diese Anbieter aus. Diese Politik und deren indirekt diskriminierende Wirkung können nachgewiesen werden, indem man dem Pierre-Robin-Referenzzentrum in Paris folgende Fragen stellt:

  • In den letzten 5 Jahren wurde bei verschiedenen, französischen Neugeborenen die Pierre-Robin-Sequenz diagnostiziert. In wie vielen dieser Fälle wurden die Eltern dieser Kinder darüber informiert, dass die TGP-Behandlung eine sichere und medizinisch nachgewiesene Behandlungsoption für diese seltene Krankheit ist, und dass diese Behandlung in verschiedenen Zentren, gleich nebenan in Deutschland, erhalten werden kann?
  • Wie oft hat das Referenzzentrum in Paris die medizinisch nachgewiesene TGP-Behandlung für Pierre-Robin-Sequenz empfohlen?
  • Wie oft hat das Pierre-Robin-Referenzzentrum ein ärztliches Attest ausgestellt, um den S2-Antrag eines französischen Patienten auf TGP-Behandlung in Deutschland zu unterstützen?
  • Wie viele französische Patienten mit Pierre-Robin-Sequenz haben die TGP-Behandlung in Deutschland erhalten?

Die Antworten auf all diese Fragen beträgt: Null oder fast null, in einem Zeitraum von mehr als 5 Jahren. Dieses eindeutig vorhandene Schema kann nur das Ergebnis einer bewussten Politik sein, mit dem Ziel, französischen Patienten den Zugang zum TGP-Gerät (einer Ware) und der TGP-Behandlung (einer Dienstleistung) zu verweigern. Diese Politik stellt nicht nur den Geist der europäischen Zusammenarbeit zum Nachteil einer besonders schutzbedürftigen Bevölkerung auf den Kopf – nämlich Säuglingen, die an einer seltenen Erkrankung leiden. Durch diesen nachweisbaren, indirekt diskriminierenden Effekt verletzt sie auch Artikel 34 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union.

Zudem wirft diese Politik umfassendere, über das EU-Recht hinausgehende Fragen auf: die Frage der medizinischen Grundethik und der ärztlichen Verpflichtung, eine informierte Einwilligungserklärung zu geben, wie der folgende Abschnitt erläutert.

Dr. Veronique Abadie und das Pierre-Robin-Referenzzentrum in Paris

Dr. Veronique Abadie, Leiterin des französischen Referenzzentrums für seltene Krankheiten, Pierre-Robin-Sequenz, weigerte sich, uns das ärztliche Attest zu übermitteln, welches wir für Lysianes S2-Antrag auf TGP-Behandlung in Deutschland benötigten. Anstatt uns ein ärztliches Attest zu überreichen, schrieb Dr. Abadie einen Brief mit dem Hinweis, dass eine gleiche oder ebenso wirksame Behandlung auch in Frankreich verfügbar ist. Dr. Abadie ist Leiterin des französischen Referenzzentrums für die seltene Krankheit Pierre-Robin-Sequenz. Das bedeutet, ihre fachliche Meinung zu dieser seltenen Krankheit ist in Frankreich definitiv. Deshalb überrascht es nicht, dass die L’Assurance Maladie nach Erhalt des Briefes von Dr. Abadie, Lysianes S2-Antrag ablehnte.

Dr. Christian F. Poets in Deutschland ist Vorsitzender des Interdisziplinären Zentrums für Kraniofaziale Missbildungen am Universitätsklinikum Tübingen. Dort erhielt unsere Tochter Lysiane die TGP-Behandlung, welche die Obstruktion der oberen Atemwege beseitigte, sie von der Beatmungsmaschine und der Intensivstation befreite und damit ihr Leben veränderte. Dr. Poets war während der TGP-Behandlung in Tübingen verantwortlich für Lysianes medizinische Versorgung und war deutlich überrascht, dass die L’Assurance Maladie Lysianes Antrag abgelehnt hatte. Vor allem, weil sein Zentrum in Tübingen bereits Patienten aus verschiedenen anderen EU-Mitgliedstaaten die TGP-Behandlung zur Verfügung gestellt hatte und die zuständigen Regierungen dieser Patienten die S2-Dokumente stets ohne Probleme zur Verfügung stellten.

Dr. Poets in Tübingen und Dr. Abadie in Paris sind Berufskollegen. Sie kennen sich seit Jahren. Dr. Poets und Dr. Abadie sprechen sich gegenseitig mit Vornamen an: „Christian“ und „Veronique“. Am 7. Mai 2017 fand in Toronto, Kanada, eine Konferenz statt. Thema dieser Konferenz war die seltene Krankheit Pierre-Robin-Sequenz. Experten aus aller Welt nahmen daran teil, um Behandlungsstrategien zu diskutieren: https://robin-sequence.com/

Auch Dr. Poets und Dr. Abadie nahmen an dieser Konferenz am 7. Mai 2017 in Toronto teil. Während der Konferenz sprachen Dr. Poets und Dr. Abadie miteinander. Dr. Poets fragte Dr. Abadie, warum sie Lysianes S2-Antrag nicht unterstützte.

Dr. Abadie begründete dies gegenüber Dr. Poets folgendermaßen: Wenn sie es täte, würden auch andere französische Patienten, die an Pierre-Robin-Sequenz leiden, zur Behandlung nach Deutschland gehen, anstatt zu ihr zu kommen.

Präsident Macron: Ich könnte als Lysianes Vater jetzt sehr unschöne Worte verwenden, um diese Situation im Allgemeinen und Dr. Abadies Verhalten im Besonderen zu beschreiben, werde jedoch davon absehen. Was ich denke und wie ich mich fühle, ist letztlich nicht so wichtig, wie die vollständige und offene Untersuchung dieser Situation und die Maßnahmen, die Ihre Regierung als Ergebnis dieser vollständigen und offenen Untersuchung ergreift.

Wir als Eltern konnten die dramatischen Vorteile der TGP-Behandlung in Deutschland im Vergleich mit der herkömmlichen, französischen Behandlungsmethode durch Beatmungsgeräte aus erster Hand erleben, weil unsere Tochter Lysiane beide Behandlungen erhielt. Wir verstehen sogar Dr. Abadies Bedenken, dass ihr Referenzzentrum am Necker-Krankenhaus zukünftig einige französische Patienten nach Deutschland verlieren könnte, da die TGP-Behandlung dort nicht angeboten wird. Dr. Abadies Wunsch, ihre Kundenbasis am Referenzzentrum im Necker-Krankenhaus zu schützen, ist jedoch keine akzeptable Rechtfertigung für die Blockierung von Lysianes S2-Antrag.

Dr. Abadies Verhalten wirft zahlreiche, beunruhigende Fragen auf. Darunter auch die folgende: Dr. Abadie leitet ein EU-anerkanntes Orphanet-Referenzzentrum für die seltene Krankheit Pierre-Robin-Sequenz. Die europäischen Referenznetzwerke der EU, „insbesondere im Bereich seltener Krankheiten“, sind vor allem gedacht „dabei mitzuhelfen, das Potenzial der europäischen Zusammenarbeit im Zusammenhang mit hoch spezialisierter Gesundheitsversorgung von Patienten sowie für die Gesundheitssysteme durch Nutzung von Innovationen in Medizinwissenschaft und -technik zu verwirklichen“ (Richtlinie 2011, Artikel 12). Die Sicherheit und Wirksamkeit der hochspezialisierten und innovativen TGP-Behandlung wurde im Verlauf von 10 Jahren in mehreren Peer-Review-Studien als definitiv wirksam nachgewiesen. Doch ist in ganz Frankreich – in einem Land mit mehr als 65 Millionen – unsere Tochter wohl das erste Kind, dass diese bahnbrechende, deutsche Behandlung erhalten hat. Das ist erstaunlich – doch Dr. Abadies Erklärung an Dr. Poets auf der Pierre-Robin-Sequenz-Konferenz 2017 in Toronto erklärt, warum dem so ist. Dr. Abadies absichtliche Blockade und fehlende Kooperation vereitelt vollständig den eigentlich Zweck der europäischen Referenznetzwerke der 2011er Richtlinie. Wenn Dr. Abadie nicht in der Lage ist, das Potenzial der europäischen Zusammenarbeit in Bezug auf hochspezialisierte Gesundheitsversorgung für seltene Krankheiten, durch die Nutzung innovativer Medizin- und Gesundheitstechnologien – wie der TGP-Behandlung – zu erkennen, sollte sie kein europäisches Referenzzentrum leiten.

Doch das Pierre-Robin-Referenzzentrum am Necker-Krankenhaus, unter der Leitung von Dr. Abadie, verletzte durch sein vorsätzliches Eingreifen in den Markt und der rechtswidrigen Behinderung der vier EU-Grundfreiheiten nicht nur bestehendes EU-Recht. Das Pierre-Robin-Referenzzentrum am Necker-Hospital verletzte auch sein eigenes Leitbild, welches die „Erleichterung des Zugangs zur Patientenversorgung“ („Facilitation de l’accès Aux Soins des Patienten „) zum Inhalt hat. Der Begriff „Versorgung“ muss in jedem Fall alle hochwirksamen und medizinisch bewährten Geräte und Techniken umfassen, auch wenn diese nicht von Dr. Abadie und ihrem Ärzteteam in Paris, sondern von ihren Kollegen und Kolleginnen in Deutschland entwickelt wurden. Gemäß des Leitbilds ihres Referenzzentrums sollte Dr. Abadie ihren Patienten den Zugang zur Versorgung erleichtern. Wenn Dr. Abadie der Ansicht ist, es wär akzeptabel den Zugang zur Patientenversorgung zu behindern – insbesondere zu einer sicheren, hochwirksamen und medizinisch nachgewiesenen Behandlung einer seltenen Krankheit – sollte sie das Pierre-Robin-Referenzzentrum am Necker-Krankenhaus, wie bereits erwähnt, nicht leiten.

Der dritte und wichtigste aller Punkte ist Dr. Abadies Wunsch, die Kundenbasis des Referenzzentrums am Necker-Krankenhaus zu schützen, wie sie es in ihrem Gespräch mit Dr. Poets auf der Pierre-Robin-Sequenz-Konferenz am 7. Mai 2017 in Toronto gesagt hat. Dabei handelt es sich um keine akzeptable Begründung für die Behinderung Lysianes Zugangs zu einer sicheren und medizinisch bewährten Behandlung ihrer seltenen Krankheit. Kein Arzt sollte berufliche Interessen über die Gesundheit von Patienten stellen. Ein solches Verhalten wirft ernste Fragen der medizinischen Grundethik auf.

Was noch beunruhigender ist: diese Frage der medizinischen Grundethik könnte durchaus Teil eines breiteren, systematischen Schemas sein. Wie bereits im Abschnitt „Hintergrundinformationen“ erwähnt, haben wir am Montag, den 10. April 2017, am Telefon mit Dr. Abadie über die Gesundheit unserer Tochter Lysiane und die TGP-Behandlung gesprochen. Während dieses Telefonats bestätigte Dr. Abadie, dass sie Dr. Poets in Tübingen und seine Arbeit dort kenne. In Bezug auf die TGP-Behandlung teilte uns Dr. Abadie mit:

„Ich kenne dieses Verfahren und ich kenne Professor Poets. Es ist ein Verfahren, das funktioniert. Es funktioniert, das ist unbestreitbar.“

Französisches Original:
„Je connais cette technique et je connais le Professor Poets. C’est une technique qui marche – ça marche, c’est indiscutable.“

Bevor wir uns überhaupt jemals mit Dr. Abadie in Verbindung setzten, waren wir, Lysianes Eltern, verzweifelt darum bemüht, die bestmögliche medizinische Behandlung für die seltene Krankheit unserer Tochter zu finden. Nach umfangreichen, von uns selbst durchgeführten Untersuchungen, entdeckten wir mehrere medizinische Studien, die Einzelheiten zur TGP-Behandlung enthielten. Für uns als Eltern – nicht Ärzte, sondern Eltern – war die TGP-Behandlung eine äußerst vielversprechende Nachricht. Sie gab uns Hoffnung für unser Kind, das mit dem Atmen kämpfte und im französischen Krankenhaus wiederholt unter Sauerstoffentsättigungen erlitt. Für Dr. Abadie hingegen war die TGP-Behandlung überhaupt keine Neuigkeit – Dr. Abadie kennt die TGP-Behandlung seit Jahren. Sie kennt den Chefarzt, der das deutsche Ärzteteam leitet, welches die TGP-Behandlung in Tübingen durchführt. Sie liest ihre medizinischen Studien und weiß sehr genau, dass die medizinische Wirksamkeit der TGP-Behandlung „unbestreitbar“ ist.

Dr. Abadie weiß ebenfalls, dass die Behandlung, die sie für französische Säuglinge in Frankreich vorschlägt – den Anschluss des Kindes an ein Beatmungsgerät mittels CPAP-Maske – mit echten medizinischen Risiken verbunden ist. Das Tragen einer CPAP-Maske setzt das Neugeborene dem ernsthaften und bekannten Risiko für Gesichtsdeformitäten aus. Wie bereits erläutert, untersuchte Dr. Brigitte Fauroux – eine Kollegin von Dr. Abadie im Pierre-Robin-Referenzzentrum des Necker-Krankenhauses in Paris – die Risiken von Beatmungsmasken und die durch diese Masken verursachten Gesichtsdeformitäten. Dr. Faurouxs Peer-Review-Studie zeigt, dass das ernsthafte Risiko einer Oberkieferretrusion nicht durch das monatelange Tragen der Beatmungsmaske ausgelöst wird, sondern dass dafür schon mehr als 10 Stunden Tragedauer täglich ausreichen. Also ein beliebiger Zeitraum – Monate, Wochen, möglicherweise sogar Tage.

Somit stellt sich die Frage: Wurden französische Eltern über das ernsthafte Risiko der CPAP-Beatmungsmasken, Gesichtsdeformationen auszulösen oder zu verschlimmern, informiert? Wie können französische Eltern, die nicht umfassend über alle Risiken dieser Behandlungsmethode aufgeklärt werden, einwilligen, dass ihr Kind diese spezielle Behandlung erhält? Damit Eltern eine Einverständniserklärung abgeben können, müssen die Ärzte den Eltern zunächst alle relevanten und wesentlichen Fakten erklären, die mit der vorgeschlagenen Behandlung in Zusammenhang stehen, einschließlich Vorteilen, Risiken und Alternativen.

Wurden die von Dr. Abadie in ihrem Brief an die L’Assurance Maladie erwähnten französischen Eltern, die ihr Einverständnis für die Behandlung ihres Kindes mit der französischen Gaumenplatte gaben, darüber informiert, dass diese Gaumenplatten „keine Auswirkung auf die Beatmung“ haben, wie Dr. Abadie schriftlich zugab? Wurden diese französischen Eltern darüber informiert, dass die französischen Gaumenplatten über keinerlei Peer-Review-Studien verfügen, die bestehende Vorteile und Risiken dieser Behandlung beschreiben? Wurden diese französischen Eltern darüber informiert, dass gleich nebenan in Deutschland, genau diese Behandlungsform der Gaumenplatte, eingesetzt wird, um Säuglinge mit Pierre-Robin-Sequenz zu behandeln? Wussten diese französischen Eltern, dass die deutschen Gaumenplatten – im Gegensatz zu den französischen Platten – erfolgreich die potenziell lebensbedrohlichen Atemschwierigkeiten dieser Kinder beheben? Wurde ihnen gesagt, dass die deutschen Gaumenplatten – im Gegensatz zu den französischen Platten – von Peer-Review-Studien gestützt werden, die über mehr als zehn Jahre durchgeführt wurden und bewiesen haben, dass die deutschen Platten nicht nur hochwirksam, sondern auch unbedenklich für Säuglinge sind?

Was die französischen Eltern betrifft, die ihre Einwilligung zur invasiven Operation ihres Kindes gaben, einschließlich der Distraktionsosteogenese des Unterkiefers und sogar der Labioglossopexie (das Annähen der Zunge an die Lippe des Kindes), einer beschämenden Praxis, die in zivilisierten Länder verboten werden sollte: Wurden diese französischen Eltern über weniger invasive, alternative Behandlungen informiert? Hat man sie darüber aufgeklärt, dass die TGP-Behandlung in Deutschland ihrem Kind diese schmerzhaften, invasiven und riskanten chirurgischen Eingriffe vollständig ersparen und dennoch die Atmungsschwierigkeiten des Kindes sicher, effektiv und vollständig beheben könnte?

Zu den Risiken: Das Pierre-Robin-Referenzzentrum des Necker-Krankenhauses in Paris kann nicht behaupten, nichts über die Risiken von Gesichtsfehlbildungen beim Einsatz von Beatmungsmasken gewusst zu haben. Eine Ärztin dieses Referenzzentrums hat schließlich eine Studie zu diesen Risiken verfasst.

Zu den Vorteilen: Das Pierre-Robin-Referenzzentrum des Necker-Krankenhauses in Paris kann nicht behaupten, nichts über die Sicherheit und bemerkenswerte Wirksamkeit der TGP-Behandlung in Deutschland gewusst zu haben. Dr. Abadie, Leiterin des Referenzzentrums, kennt Dr. Poets persönlich sowie seine Arbeit und räumt ein, dass die medizinische Wirksamkeit der TGP-Behandlung „unbestreitbar“ sei.

Wenn französische Eltern von Kindern mit Pierre-Robin-Sequenz nicht über ausreichend Informationen verfügen, um begründete Entscheidungen über die ihrem Kind empfohlenen Behandlungsmethoden treffen zu können – einschließlich aller relevanten und wesentlichen Vorteile, Risiken und Alternativen der vorgeschlagenen Behandlungen – wirft dies erneut ernsthafte Fragen hinsichtlich der ärztlichen Ethik auf.

Diese schwerwiegenden Fragen der ärztlichen Ethik erfordern, unabhängig vom EU-Recht, eine vollständige und offene Untersuchung. Wir bitten Sie, Präsident Macron, um die Anordnung einer solchen Untersuchung, und wir bitten Sie auch, dass wir – die Eltern von Kindern, die hier in Frankreich an Pierre-Robin-Sequenz leiden – das Ergebnis dieser Untersuchung mitgeteilt wird.

Verstöße gegen das EU-Recht: Rechtfertigungen und Ausnahmeregelungen

Im Jahr 2010 erließ der Europäische Gerichtshof eine Entscheidung im Fall eines bulgarischen Bürgers, der an Krebs im rechten Auge litt (Fall C-173/09). In diesem Streitfall konnte das nationale Gesundheitssystem Bulgariens tatsächlich nachweisen, dass eine erfolgreiche Behandlung des Krebs dieses Patienten in Bulgarien möglich ist, diese Behandlung jedoch zu einem Verlust der Sehkraft im rechten Auge des Patienten führen würde.

Der Patient hatte entdeckt, dass im EU-Mitgliedstaat Deutschland nicht nur eine Behandlung angeboten wurde, die den Krebs beseitigen würde, sondern dass dabei die Sehkraft im rechten Auge erhalten bliebe.

Der Patient beantragte beim bulgarischen Gesundheitssystem eine Vorabgenehmigung, um diese Behandlung in Deutschland erhalten zu können. Diese wurde abgelehnt und die Angelegenheit ging vor den Europäischen Gerichtshof.

Man muss dabei Bulgarien zu Gute halten, dass sich deren nationales Gesundheitssystem die peinliche und unverschämte Behauptung, die bulgarische Behandlungsmethode wäre „gleich oder ebenso wirksam“ wie die deutsche, erspart hat – obwohl beide Behandlungsmethoden tatsächlich erfolgreich den Krebs des Patienten beseitigen. Die bulgarische Regierung war ehrlich genug, zuzugeben, dass die deutsche Behandlungsmethode der bulgarischen überlegen war.

Die bulgarische Regierung beantragte jedoch eine Ausnahme von Artikel 56 und den Verpflichtungen des EU-Gesundheitsrechts im grenzüberschreitenden Gesundheitsbereich, die im Wesentlichen auf einem Anspruch der Armut beruhten. Die bulgarische Regierung argumentierte, dass, wenn eine hohe Zahl bulgarischer Patienten grenzüberschreitende Behandlungen in anderen EU-Mitgliedstaaten anstreben und die bulgarische Regierung die Kosten solcher grenzüberschreitenden Behandlungen übernehmen müsse, die Gesundheitsplanung Bulgariens erschwert und sogar das finanzielle Gleichgewicht des gesamten bulgarischen Sozialsicherungssystems untergraben werden könnte.

Dieser Versuch Bulgariens, den Verpflichtungen des EU-Rechts zu entgehen, ist gescheitert.

Stattdessen entbehren die düsteren Warnungen einer hypothetischen Abwanderung von EU-Patienten in andere EU-Mitgliedstaaten, um eine geplante grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung zu erhalten, jeglicher Grundlage. Deshalb wies der Europäische Gerichtshof das Argument Bulgariens zurück, obwohl Bulgarien zweifellos zu den ärmeren EU-Mitgliedstaaten gehört.

Die Europäische Kommission erklärte:

„Im Allgemeinen lassen sich Patienten lieber in ihrem eigenen Land behandeln als im Ausland. Aus diesem Grund beläuft sich die Nachfrage nach grenzüberschreitender Gesundheitsversorgung nur auf etwa 1 % der öffentlichen Gesundheitsausgaben, d. h. derzeit rund 10 Mrd. EUR. Diese Schätzung schließt grenzüberschreitende Gesundheitsleistungen ein, die die Patienten nicht vorher geplant hatten (wie die Notfallversorgung für Touristen). So ist weniger als 1 % der Ausgaben und der Auslandsbehandlungen von Patienten geplant (wie Hüft-, Knie- oder Kataraktoperationen).“

Gefunden hier: http://europa.eu/rapid/press-release_MEMO-13-918_de.htm

Die grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung macht etwa 1% der öffentlichen Gesundheitsausgaben aus. Dieses 1% besteht aus zwei Teilen. Erstens, die geplante, grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung. Dabei handelt es sich einfach nur um die Gesundheitsversorgung, die der Patient im Voraus geplant hat. Zweitens, die ungeplante grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung – zum Beispiel, wenn sich ein deutscher Skifahrer beim Skifahren in den österreichischen Alpen das Bein bricht und in einem österreichischen Krankenhaus eine notfallmedizinische Behandlung erhält. Da die Gesamtsumme der grenzüberschreitenden Gesundheitsausgaben (geplant und ungeplant), etwa 1% der öffentlichen Gesundheitsausgaben ausmacht, beträgt die geplante grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung nur einen Bruchteil dieses 1%. Und da seltene Krankheiten per Definition selten sind, macht die geplante grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung für EU-Bürger, die an einer seltenen Krankheit leiden, buchstäblich nur einen Bruchteil dieses 1% der öffentlichen Gesundheitsausgaben aus. Im Hinblick auf diese winzige Zahl kann die L’Assurance Maladie nicht behaupten, dass ihre Weigerung der Genehmigung auf TGP-Behandlung in Deutschland für unsere Tochter Lysiane, eine notwendige und verhältnismäßige Maßnahme zur Erhaltung der finanziellen Integrität des französischen Sozialsicherungssystems sei.

Im Gegensatz zu Bulgarien ist Frankreich eines der reichsten Länder der Europäischen Union. Frankreichs Gesundheitssystem ist gut finanziert und bietet seinen Bürgern einen ausgewogenen, ärztlichen und Krankenhausdienst, der allen zur Verfügung steht. In Frankreich besteht kein unmittelbarer medizinischer Ressourcenmangel oder strukturelle oder anhaltende Mängel in Krankenhauseinrichtungen. Frankreich hat keine Probleme bei der Aufrechterhaltung der Behandlungskapazität. Das Überleben des französischen Sozialsystems ist nicht gefährdet.

Auch im Hinblick auf die hohen Kosten der französischen Beatmungsunterstützung, die im Allgemeinen einen langfristigen Krankenhaus erfordert, und beim Vergleich dieser Summe mit den Kosten für die Überführung französischer Pierre-Robin-Sequenz-Patienten nach Deutschland, um die TGP-Behandlung zu erhalten – die typischerweise eine zwei- bis dreiwöchige stationäre Versorgung erfordert – wird deutlich, dass die TGP-Behandlung die Ausgaben des nationalen Gesundheitssystem erheblich reduzieren würde.

Der Europäische Gerichtshof erkannte Bulgariens legitimes Bedürfnis nach einer Gesundheitsplanung an, die darauf abzielen sollte, „die Kosten zu beherrschen und, so weit wie möglich, jede Verschwendung finanzieller, technischer und menschlicher Ressourcen zu verhindern“. Die L’Assurance Maladie jedoch verletzt all diese legitimen Planungsziele direkt, indem sie französische Patienten darin hindert, die TGP-Behandlung zu erhalten und sie stattdessen dazu zwingt, einen kostenintensiven, langfristigen Krankenhausaufenthalt zu erdulden.

Die L’Assurance Maladie lehnt Lysianes Antrag auf eine medizinisch nachgewiesene und kostengünstige Behandlung ihrer seltenen Krankheit ab und verstößt damit gegen das EU-Recht – sowohl gegen das Primärrecht als auch das Sekundärrecht. Dies stellt die willkürliche, irrationale, unnötige und unangemessene Ausübung nationalen Ermessens dar, die wiederholt vom Europäische Gerichtshof niedergeschlagen wurde.

Schlussfolgerung

Die gesetzlich bindende Richtlinie 2011/24/EU zur Ausübung von Patientenrechten in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung zielt darauf ab, „… bewährte Verfahren… zu verbreiten sowie Entwicklungen bei der Diagnose und Behandlung von seltenen Krankheiten zu fördern“, und „Verbesserungen bei der Diagnose und bei der Bereitstellung einer hochwertigen, allgemein zugänglichen und kostengünstigen Gesundheitsversorgung für alle Patienten mit Gesundheitsproblemen, die eine besondere Konzentration von Fachwissen erfordern und in medizinische Bereiche fallen, in denen es nur wenige Sachverständige gibt, zu erleichtern“. Bei der TGP handelt es sich um genau diese hochwertige und kostengünstige Behandlung einer seltenen Krankheit, die in der 2011er Richtlinie beschrieben wird.

Die TGP-Behandlung korrigiert das zugrunde liegende anatomische Problem – die obere Atemwegsobstruktion bei Pierre-Robin-Sequenz – und ermöglicht dem Säugling auf natürliche Weise selbstständig und unabhängig zu atmen und erreicht dies vollständig ohne Operation. Die Beatmungsunterstützung hingegen drückt die Luft einfach durch den blockierten Atemweg des Kindes. Dieser bleibt jedoch weiterhin blockiert, wenn das Kind vom Beatmungsgerät getrennt wird, und die Atemprobleme kehren zurück. Außerdem erfordert die TGP-Behandlung keinerlei externe Ausrüstung. CPAP hingegen erfordert ein Beatmungsgerät, das die Patientenmobilität radikal einschränkt, da das Kind fast rund um die Uhr am Beatmungsgerät angeschlossen bleiben muss. Die TGP-Behandlung beseitigt auch die Notwendigkeit einer Langzeithospitalisation, die bei CPAP im Allgemeinen nötig wird und mit enormen finanziellen und menschlichen Kosten verbunden ist.

Kein objektiver und unparteiischer medizinischer Vergleich kann vernünftigerweise zu dem Schluss kommen, dass CPAP – bei der das Kind an ein Beatmungsgerät angeschlossen werden muss – und die TGP-Behandlung – die entscheidende, medizinische Ziele erreicht, die CPAP nicht erreichen kann und nicht erreichen wird – „gleich oder ebenso wirksam“ sind. Medizinisch, ökonomisch und im Hinblick auf die Lebensqualität bietet die TGP-Behandlung grundlegende Vorteile gegenüber alternativen Pierre-Robin-Sequenz-Behandlungen, einschließlich CPAP. Deshalb wurden Säuglinge aus anderen EU-Mitgliedstaaten und sogar aus Russland nach Deutschland gebracht, um dort die TGP-Behandlung zu erhalten.

Artikel 13 („Seltene Krankheiten“) der Richtlinie von 2011 beschreibt „die Möglichkeiten im Rahmen der Verordnung (EG) Nr. 883/2004, Patienten mit seltenen Krankheiten in andere Mitgliedstaaten zu überweisen, auch für die Diagnose und für Behandlungen, die im Versicherungsmitgliedstaat nicht verfügbar sind.“ CLEISS bestätigte uns per E-Mail, dass die Richtlinie von 2011 EU-Bürgern, die unter einer seltenen Krankheit leiden, das Recht auf hochspezialisierte Behandlungsmethoden in anderen Mitgliedsstaaten gewährt, wenn diese nicht im eigenen Versicherungsmitgliedstaat verfügbar sind.

Die Weigerung der L’Assurance Maladie, die hochspezialisierte und medizinisch nachgewiesene TGP-Behandlung für die seltene Krankheit unserer Tochter zu genehmigen, verstößt gegen die Richtlinie von 2011, die Verordnung (EG) Nr. 883, und gegen den Grundsatz der freien Erbringung und Inanspruchnahme von Dienstleistungen nach Artikel 56 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Sie stellt die willkürliche, irrationale und unangemessene Ausübung nationalen Ermessens dar, die der Europäische Gerichtshof wiederholt niedergeschlagen hat. Sie kann weder politisch begründet werden noch war sie notwendig und verhältnismäßig. Daher muss diese unbegründete Ablehnung rückgängig gemacht werden.

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