Lysiane

Am 29. März 2017 brachte meine Lebensgefährtin unser kleines Mädchen Lysiane zur Welt, bei der eine seltene Krankheit diagnostiziert wurde: Die Pierre-Robin-Sequenz. Die Pierre-Robin-Sequenz (auch Pierre-Robin-Syndrom genannt) ist eine seltene Krankheit, die nur ca. 1 von 10.000 Neugeborenen trifft. Die Pierre-Robin-Sequenz steht im Zusammenhang mit potentiell lebensgefährlichen Atemproblemen und Schwierigkeiten bei der Nahrungsaufnahme. Neugeborene, die unter dieser seltenen Krankheit leiden, sind sehr vielen Risiken ausgesetzt. Dazu gehören Sauerstoffmangel, Gehirnschäden, Wachstumsstörungen und Tod.

Die Geburt unserer kleinen Lysiane war gefährlich und sehr schwierig. Sie ist nicht aus dem Krankenhaus in Frankreich nach Hause gekommen. Ganze fünf Wochen musste sie auf der Intensivstation an ein Beatmungsgerät angeschlossen verbringen – im gleichen französischen Krankenhaus, in dem sie geboren wurde. Ohne Aussicht auf Entlassung.

EIN DURCHBRUCH BEI DER BEHANDLUNG DES PIERRE-ROBIN-SYNDROMS IN DER EU

Deutsche Ärzte forschten über 20 Jahre an einer hochspezialisierten, medizinisch nachgewiesenen und kostengünstigen Behandlung für die Pierre-Robin-Sequenz. Diese Behandlung erfolgt mit der sogenannten Tübinger Gaumenplatte (TGP). Diese Gaumenplatte ist absolut sicher und erfordert keinerlei operative Eingriffe. Es handelt sich dabei um ein medizinisches Gerät, das im Mund getragen wird und das die quälenden Atemprobleme der Säuglinge behebt. Dadurch fällt ein Anschluss an Beatmungsgeräte weg und es sind keine invasiven, chirurgischen Eingriffe mehr nötig. Die Tübinger Gaumenplatte ist ein spektakulärer Durchbruch bei der Behandlung des Pierre-Robin-Syndroms.

Wie Sie sich vielleicht vorstellen können, waren wir als Eltern sehr erleichtert, als wir von der Entwicklung dieser bahnbrechenden Behandlung für die Pierre-Robin-Sequenz innerhalb der EU erfuhren. Vor allem auch, weil diese Behandlung gleich „nebenan“, bei unseren Nachbarn in Deutschland, zur Verfügung steht. Dies – so dachten wir, jedenfalls – war einer der vielen Vorteile eines Lebens in der Europäischen Union: die Zusammenarbeit und Wissensbündelung innerhalb der EU-Mitgliedsstaaten, damit alle europäischen Bürger – vor allem Kinder mit seltenen Krankheiten – von Europas bedeutenden, medizinischen Fortschritten profitieren können.

In Übereinstimmung mit dem EU-Recht haben wir – Lysianes Eltern und beides EU-Bürger – bei der französischen Krankenversicherung „L’Assurance Maladie“ einen Antrag gestellt. In unserem Antrag bitten wir um eine offizielle Genehmigung – das sogenannte „S2-Formular“ – damit unsere Tochter Lysiane, ebenfalls französische und damit EU-Bürgerin, die hochspezialisierte, medizinisch nachgewiesene und kostengünstige TGP-Behandlung in Deutschland in Anspruch nehmen kann…

DIE FRANZÖSISCHE REGIERUNG LEHNT UNSEREN ANTRAG AUF TGP-BEHANDLUNG IN DEUTSCHLAND AB

Die französische Regierung lehnte den S2-Antrag, der unserer Tochter Lysiane die TGP-Behandlung in Deutschland ermöglichen soll, ab.

Wir sind der Ansicht, dass die Ablehnung unseres S2-Antrags auf Inanspruchnahme dieser hochspezialisierten und medizinisch nachgewiesenen, deutschen Behandlungsmethode, einen beschämenden Verstoß gegen das Europäische Recht seitens der französischen Regierung darstellt. Warum? In der EU-Richtline über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung von 2011, Artikel 13 „Seltene Erkrankungen“, heißt es: EU-Mitgliedsstaaten sind gesetzlich verpflichtet, das Recht jeden EU-Bürgers zu respektieren, die beste, in der EU verfügbare medizinische Behandlung, vor allem bei seltenen Erkrankungen, „auch für die Diagnose und für Behandlungen, die im Versicherungsmitgliedsstaat nicht verfügbar sind, zu wählen.“ Tatsache ist, dass die TGP-Behandlung aus Deutschland bisher nicht in Frankreich zur Verfügung steht. Darüber hinaus gibt es in Frankreich auch keine Behandlung, die ebenso wirksam ist, wie die TGP-Behandlung.

UNSERE VERBÜNDETEN

Mit unserer Einschätzung, dass die Ablehnung des Antrags auf diese hochspezialisierte TGP-Behandlung für diese seltene Krankheit in Deutschland, seitens der französischen Regierung gegen geltendes EU-Recht verstößt, stehen wir nicht allein da. Die Liste unserer Verbündeten wächst stetig. Zu ihnen gehören:

  • Das SOLVIT-Netzwerk der Europäischen Kommission. Nach sorgfältiger Analyse unseres Falls stellte SOLVIT ausdrücklich fest, dass Frankreich gegen geltendes EU-Recht verstößt, indem es den S2-Antrag unserer Tochter Lysiane ablehnte. Dies ist im SOLVIT- Fall 2569/17/DE dokumentiert. SOLVIT gelangte zu dem Schluss, dass sich Lysiane sowohl gemäß der Richtlinie zur grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung von 2011 als auch gemäß der Verordnung 883 für die Zulassung zur grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung qualifiziert hat.
  • Ein hochrangiges Mitglied des Europäischen Parlaments, ab der 8., 7., 6., 5. und 4. Wahlperiode: Frau Françoise Grossetête. Frau Grossetête besitzt umfassendes Wissen über die EU-Richtline von 2011 zur grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung und war sogar Sonderberichterstatterin des Europäischen Parlaments für dieses Gesetz. Frau Grossetête kennt also diese Richtlinie, und auch sie weiß, dass dagegen verstoßen wurde. Sie hat der französischen Gesundheitsministerin Frau Agnès Buzyn ein offizielles Unterstützungsschreiben übermittelt, das deutlich macht, dass diese Situation „inakzeptabel“ ist und die Ablehnung rechtlich unbegründet war.
  • EURORDIS, einer der größten, nicht-staatlichen Zusammenschlüsse von Patientenorganisationen für seltene Erkrankungen in der EU (Yann Le Cam, CEO von EURORDIS, der Europäischen Organisation für seltene Krankheiten). EURORDIS schickte ein sehr detailliertes Unterstützungsschreiben an die L’Assurance Maladie mit einer Erklärung, warum die Ablehnung nach ihrer Ansicht, gegen EU-Recht verstößt. EURORDIS hat zugesagt, uns, Lysianes Eltern, vor Gericht beizustehen und gemeinsam bis zum Europäischen Gerichtshof zu gehen.
  • Das Europäische Patientenforum. Eine der größten Dachorganisationen für Patientenvertretungen in der gesamten EU. Das Europäische Patientenforum gehörte zu den wichtigsten Interessenvertretern bei der Ausarbeitung der 2011er Richtline zur grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung. Auch dort kennt man dieses Gesetz. Das Europäische Patientenforum hat ein offizielles Unterstützungsschreiben direkt an Frankreichs Präsidenten Macron gerichtet. In ihrem Schreiben bezeichnen Sie die Situation als „schockierend“ und die Ablehnung Frankreichs als rechtlich unbegründet.
  • Rare Diseases Denmark ist eine gemeinnützige Organisation aus Skandinavien, die sich für Menschen mit seltenen Krankheiten einsetzt und eine hoch angesehene Stimme in der entsprechenden internationalen Bewegung. In ihrem Unterstützungsschreiben weist sie darauf hin (Lene Jensen, CEO, Rare Diseases Denmark; ehemaliges Mitglied der EUCERD; ehemaliges Mitglied des dänischen Parlaments), dass der Fall Lysiane „ein verheerendes Beispiel für den Kampf ist, dem viele Patienten mit seltenen Erkrankungen und deren Familien gegenüberstanden und noch immer gegenüberstehen, hier, mitten in Europa.“
  • Pro Rare Austria – Allianz für seltene Erkrankungen – wurde Ende 2011 als österreichweit tätiger Dachverband für Patientenorganisationen und Selbsthilfegruppen im Bereich der seltenen Erkrankungen von unmittelbar Betroffenen und Eltern betroffener Kinder gegründet. In ihrem Brief an Frankreichs L’Assurance Maladie bittet der gemeinnützige Verein den Direktor, Nicolas Revel, die unbegründete Ablehnung von Lysianes Recht auf eine sichere und medizinisch nachgewiesene Behandlung in Deutschland zu revidieren.
  • Der Abgeordnete unseres Wohnbezirks in Frankreich, Herr Bruno Bonnell, des Assemblée Nationale (Französisches Parlament). Der Abgeordnete Bonnell unterstützt unsere Beschwerde ebenfalls und ist aktiver Verteidiger von Patientenrechten und Menschen mit Behinderungen.
  • John Bowis, ehemaliges Mitglied des Europäischen Parlaments und Sonderberichterstatter für die Richtlinie zur grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung 2011
  • Mitglied des Europäischen Parlaments Dr. med. Petra De Sutter; Vorsitzender des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz des Europäischen Parlaments; Arzt
  • Mitglied des Europäischen Parlaments Tilly Metz, Mitglied des Ausschusses für Umweltfragen und Volksgesundheit des Europäischen Parlaments
  • Mitglied des Europäischen Parlaments Olivier Chastel, stellvertretender Vorsitzender des Haushaltsausschusses des Europäischen Parlaments
  • Mitglied des Europäischen Parlaments Frédérique Ries, Mitglied des Ausschusses für Umweltfragen und Volksgesundheit des Europäischen Parlaments (seit mehr als 20 Jahren), Mitglied des Ausschusses für Petitionsausschuss, Stellvertreterin im Unterausschuss Menschenrechte, Stellvertretende Vorsitzende, Fraktion Renew Europe
  • Mitglied des Europäischen Parlaments Dr. med. Evelyne Gebhardt; Mitglied des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz des Europäischen Parlaments
  • Professor Andre den Exter, Jean Monnet, Lehrstuhl für Gesundheitsrecht der Europäischen Union, Erasmus-Universität Rotterdam
  • Professor Francis Kessler, Sozialversicherungsrecht, Rechtsvergleichung und Europäisches Sozialrecht, Sorbonne Université Paris 1, Paris
  • Professor Dominic Wilkinson, Medizinethik, Universität Oxford, Oxford, und Arzt, spezialisiert auf Neugeborenen-Intensivpflege; Herausgeber des Journal of Medical Ethics
  • Professor Frans Pennings, Arbeitsrecht und Sozialversicherungsrecht, Universität Utrecht, Utrecht
  • Professor Victor G. Rodwin, Gesundheitspolitik und -management, New York University, New York City
  • Cor Oosterwijk, PhD, Direktor, VSOP (Vereniging Samenwerkende Ouder en Patiëntenorganisaties), Niederländische Patientenallianz für seltene und genetisch bedingte Krankheiten
  • Durhane Wong-Rieger, PhD, Präsident und CEO von CORD, der kanadischen Organisation für seltene Krankheiten
  • Justina Januševičienė, PhD des öffentlichen Rechts, Leiterin des Innovationsentwicklungszentrums für das Gesundheitswesen an der litauischen Universität für Gesundheitswissenschaften
  • Nick Sireau, PhD, Vorsitzender und CEO, AKU Society
  • Willy Palm, Senior Adviser, Europäisches Observatorium für Gesundheitssysteme und Gesundheitspolitik; Verfasser von „Alles, was Sie schon immer über die Gesundheitspolitik der Europäischen Union wissen wollten, aber Angst hatten, zu fragen“.
  • Ing. Mgr. Dr. Pavla Mašková, Česká asociace pro vzácná onemocnění, Tschechische Vereinigung für Patienten mit seltenen Krankheiten
  • Jasmin Barman-Aksözen, PhD, Vizepräsidentin des International Porphyria Patient Network (IPPN)
  • Yvonne Milne, Gründerin, Rett UK, Vorstandsmitglied, Rett Syndrome Europe, Vertreterin der Patientenvertretung des European Reference Network (ERN), MBE für Gesundheitsdienste
  • Heather C. Etchevers, PhD; Wissenschaftliche Mitarbeiterin, INSERM
  • Holm Graessner, PhD, MBA, FEAN; Koordinator des Europäischen Referenznetzwerks für seltene neurologische Erkrankungen; Geschäftsführer, Zentrum für Seltene Krankheiten Tübingen
  • Lieven Bauwens, Anwalt für Patienten mit seltenen Krankheiten (Spina Bifida und Hydrocephalus); Anwalt für die Rechte von Menschen mit Behinderungen
  • Irena Žnidar, PhD, Direktorin der International Gaucher Alliance (IGA)
  • Alastair Kent, Policy Expert für seltene und genetisch bedingte Krankheiten; OBE für Dienstleistungen im Gesundheitswesen; Stipendiat der Royal Society of Arts; EURORDIS Lifetime Achievement Award
  • Professor Scott L. Greer, Gesundheitsmanagement und -politik, Globale öffentliche Gesundheit und Politikwissenschaft, Universität Michigan, Ann Arbor; Senior Expert Advisor für Health Governance beim Europäischen Observatorium für Gesundheitssysteme und Gesundheitspolitik; Verfasser von „Alles, was Sie schon immer über die Gesundheitspolitik der Europäischen Union wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten“
  • Professor Olivier De Schutter, Internationales Menschenrechtsrecht, Recht der Europäischen Union und Rechtstheorie, Universität Louvain, Louvain-la-Neuve, sowie Sciences Po in Paris; Mitglied des UN-Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte; Autor, „Vertragsverletzungsverfahren als Instrument zur Durchsetzung der Grundrechte in der Europäischen Union“

Jede dieser Personen und Organisationen stimmen mit uns darin überein, dass, was immer zur Ablehnung Lysianes S2-Antrag auf die hochspezialisierte, medizinisch nachgewiesene und kostengünstige TGP-Behandlung in Deutschland durch die französische Regierung geführt hat, einen Verstoß gegen Europäisches Recht darstellt.

Wir, Lysianes Eltern, legen formell Widerspruch gegen diese Ablehnung ein. Wir kämpfen weiterhin darum, die S2-Genehmigung zur grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung zu erhalten, die unserer Tochter Lysiane unrechtmäßig verweigert wurde.

WARUM UNSER EINSPRUCH SO WICHTIG IST

Unser Kampf um unser gesetzlich garantiertes Recht auf grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung in der EU betrifft nicht nur unser Kind Lysiane. Es betrifft auch nicht nur uns oder andere Kleinkinder, die an dieser seltenen Krankheit, dem Pierre-Robin-Syndrom, leiden. Es geht um viel mehr, als das.

Dieser Fall wirft ein sehr viel umfangreicheres Problem auf, das Auswirkungen auf alle EU-Bürger und deren tägliches Leben hat. Wenn ein Säugling mit einer seltenen Krankheit bewegungslos auf einer Intensivstation an ein Beatmungsgerät angeschlossen liegt, nicht das Recht auf eine hochspezialisierte, medizinisch nachgewiesene und kostengünstige Behandlung seiner seltenen Krankheit in anderen EU-Mitgliedsstaaten hat – wer hat dann überhaupt das Recht auf grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung?

Wir, als Lysianes Eltern und EU-Bürger, appellieren an Frankreichs Präsidenten Macron und die Führungsmitglieder der Europäischen Union in Brüssel, diese eklatante Ungerechtigkeit zu korrigieren.

BRIEF AN PRÄSIDENT MACRON

23. Februar 2018

Monsieur le Président de la République
Palais de l’Elysée
55 Rue du Faubourg Saint-Honoré
75008 Paris
France

Re: Lysiane Pakter – Französisches Kind mit einer seltenen Krankheit

Wenn ein in Frankreich neugeborenes Kind, das unter einer seltenen Krankheit leidet und auf der Intensivstation bewegungslos an ein Beatmungsgerät angeschlossen liegt, nicht das Recht auf eine hochspezialisierte, medizinisch nachgewiesene und kostengünstige Behandlung für diese seltene Krankheit in einem anderen EU-Mitgliedsstaat hat – wer genau in Frankreich hat dann das Recht auf eine grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung?

Sehr geehrter Präsident Macron,

Meine Lebensgefährtin und ich bitten um Ihr dringendes Eingreifen in einer Angelegenheit, die unsere Tochter Lysiane betrifft, die unter der seltenen Krankheit Pierre-Robin-Sequenz leidet. In unserem Schreiben erfahren Sie zudem von unserem anhaltenden Kampf um den Erhalt der S2-Genehmigung – die offizielle Genehmigung der L’Assurance Maladie für eine hochspezialisierte, medizinisch nachgewiesene und kostengünstige Behandlung mit der Tübinger Gaumenplatte in Deutschland. Mit unserer Anfrage bitten wir Sie um Ihr Eingreifen, damit wir dieses S2-Formular erhalten, welches uns zu Unrecht verweigert wurde.

Das französische Referenzzentrum für diese seltene Krankheit hat bestätigt, dass die TGP-Behandlung in Frankreich nicht zur Verfügung steht und einzig im EU-Mitgliedsstaat Deutschland durchgeführt werden kann. Trotz dieser Tatsache hat die L’Assurance Maladie unseren Antrag auf diese Behandlung zurückgewiesen und uns die S2-Genehmigung verweigert. All unseren Bemühungen zum Trotz, bleibt die L’Assurance Maladie bei ihrer unbegründeten Entscheidung. Aus diesem Grund haben wir uns letztlich dafür entschieden, uns mit einem von Herzen kommenden Appell an Sie zu wenden. Wir als Eltern möchten diese bürokratischen Tortur mit der L’Assurance Maladie endlich beendet wissen, damit wir unsere Energien dorthin richten können, wo sie hingehören: zu unserem Kind Lysiane, das unter einer seltenen Krankheit leidet.

Die Ablehnung der L’Assurance Maladie unseres Antrags auf diese sehr spezielle Behandlungsmethode, verstößt gegen die 2011/24/EU-Richtline über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung, die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit und das Grundprinzip der Dienstleistungsfreiheit unter Artikel 56 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Sie verletzt darüber hinaus die vier EU-Grundfreiheiten – den freien Warenverkehr, die Dienstleistungsfreiheit, die Personenfreizügigkeit sowie den freien Kapital- und Zahlungsverkehr und untergräbt damit ein wichtiges, EU-politisches Ziel, welches den Mittelpunkt des Europäischen Projekts bildet: die Schaffung eines einheitlichen EU-Binnenmarktes. Deshalb kann diese Ablehnung unmöglich aus irgendwelchen politischen Gründen als „notwendig und angemessen“ gerechtfertigt werden. Unsere Liste an Privatpersonen und internationalen Organisationen, die unseren Fall sorgfältig analysiert haben und offen mit unserer Position übereinstimmen, erweitert sich stetig. In der Anlage finden Sie verschiedene Unterstützungsschreiben, beginnend auf Seite 4. Zu unseren Verbündeten gehören:

  1. Das SOLVIT-Netzwerk der Europäischen Kommission, das mit unserer Rechtslage, laut Fall 2569/17/DE, übereinstimmt;
  2. Parlamentsmitglied und Repräsentant unseres Wohnbezirks in Frankreich, Herr Bruno Bonnell, der Assemblée Nationale. Herr Bonnell ist aktiver Verteidiger von Patientenrechten und Menschen mit Behinderungen. Auch er unterstützt uns in unserem Widerspruch;
  3. EURORDIS, einer der größten, nicht-staatlichen Zusammenschlüsse von Patientenorganisationen für seltene Erkrankungen in der EU. EURORDIS hat zugesagt, uns vor Gericht zu unterstützen und, wenn nötig, bis zum Europäischen Gerichtshof zu gehen;
  4. Ein Mitglied des Europäischen Parlaments, Frau Françoise Grossetête, die über umfangreiche Erfahrungen mit der EU-Richtlinie 2011/24 über grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung verfügt. Frau Grossetête hat der französischen Gesundheitsministerin, Frau Agnès Buzyn, ein offizielles Unterstützungsschreiben übermittelt;
  5. Das Europäische Patientenforum, eine der größten Dachorganisationen für Patientenvertretungen in der gesamten EU und wichtigster Interessenvertreter bei der Ausarbeitung der Richtlinie von 2011. Das Europäische Patientenforum hat Ihnen, Präsident Macron, ein offizielles Unterstützungsschreiben übersandt;
  6. ein internationales Netzwerk bestehend aus Juraprofessoren, das sich auf die EU-Richtlinie zur grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung und Sozialversicherungsrecht spezialisiert hat. Auch sie sind der Auffassung, dass die Ablehnung durch die L’Assurance Maladie unbegründet ist.

Wir erklären in diesem Dokument, dass die in Frankreich angewendete Behandlungsmethode für die seltene Krankheit unserer Tochter, die Pierre-Robin-Sequenz, darin besteht, dass das Kind im Krankenhaus an ein Beatmungsgerät angeschlossen ist. Da die Beatmungsunterstützung generell sehr lange Krankenhausaufhalte erfordert, versursacht die in Frankreich zur Verfügung stehende Behandlung dem Gesundheitssystem immense Kosten und nimmt wertvollen Platz auf Intensivstationen in Anspruch. Die hochspezialisierte deutsche TGP-Behandlungsmethode hingegen behebt nachweislich die Behinderung der oberen Atemwege, die mit dieser seltenen Krankheit in Verbindung steht. Die TGP-Behandlung befreit das Kind vom Beatmungsgerät, ohne dass eine Operation oder ein langer Krankenhausaufhalt nötig ist. Damit ist diese Behandlungsform ein kostengünstiger, medizinischer Durchbruch hinsichtlich dieser seltene Krankheit.

Die französische Behandlungsmethode hat also nicht nur den Nachteil, dass das Kind am Beatmungsgerät angeschlossen bleiben muss – was die Mobilität und Lebensqualität erheblich einschränkt – sie macht darüber hinaus auch in finanzieller Hinsicht keinen Sinn. Die L’Assurance Maladie in Frankreich verweigert einem französischen Kind bewusst den Zugang zu einer medizinisch nachgewiesenen und sinnvollen Behandlung in Deutschland, die die Atmungsfähigkeiten und Lebensumstände des Kindes dramatisch verbessern würde – und welche darüber hinaus die Behandlungskosten reduziert, da ein langfristiger Aufenthalt im Krankenhaus wegfällt. Dies ist ebenso irrational, wie den E-Mail-Versand einzuführen, die Menschen aber gleichzeitig dazu zu zwingen, teure und umständliche Faxgeräte zu nutzen.

Hier stehen die Leben und das Leiden vieler Neugeborener auf dem Spiel. Die Ablehnung der L’Assurance Maladie entbehrt nicht nur jeder Logik – sie ist auch unzumutbar. Kein Arzt oder Beamter mit ethischen Werten, sollte ein unter einer seltenen Krankheit leidendes Kind dazu zu zwingen, eine Langzeit-Intensivbehandlung – einschließlich aller damit verbundenen Belastungen – zu erdulden, wenn in einem direkt benachbarten EU-Mitgliedstaat eine erfolgreiche und günstige Behandlungsmethode zur Verfügung steht, die dem Kind das Beatmungsgerät erspart. Stattdessen kann das Kind nach Hause zu seinen Eltern geschickt werden, wo es eigentlich hingehört. Statt Gott zu spielen, sollten Ärzte ihren Patienten den Zugang zu bewährten Behandlungsmethoden erleichtern und nicht etwa Steine in den Weg legen. Das Recht und Wohlbefinden eines Patienten sollte immer Vorrang vor dem Ego eines Arztes haben.

Die gegenstandslose Ablehnung durch die L’Assurance Maladie ist vor allem in Zeiten des Brexits unangebracht. Der Zusammenhalt der EU ist mittlerweile zu einem zentralen Thema geworden. Jeder Mitgliedstaat sollte deshalb sorgfältig auf seine Verpflichtungen hinsichtlich sämtlicher EU-Richtlinien und Gesetze achten. „Europa hat einen wichtigen Meilenstein überwunden“, haben Sie gesagt. Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, dass ein führendes EU-Mitglied wie Frankreich handelt, als würden die EU-Gesetze nur für andere Mitgliedsstaaten gelten und nicht für es selbst. Vorsätzliche Behinderung, Marktinterferenzen und mangelnde Kooperation sind keine guten Beispiele für eine funktionierende Europäische Gemeinschaft.

Darüber hinaus haben Sie den Wunsch zum Ausdruck gebracht, sowohl die französischen als auch deutschen Märkte „vollständig zu integrieren“ und „ein starkes Vertrauensverhältnis zwischen Frankreich und Deutschland wiederherzustellen“. Die sinnlose Weigerung der L’Assurance Maladie, es französischen Kindern zu ermöglichen, diese bahnbrechende Behandlung in Deutschland erhalten, lässt mich an Frankreichs Engagement zur Erreichung dieser Ziele zweifeln. Wenn Frankreich nicht zu einer Zusammenarbeit mit Deutschland bereit ist, um Säuglingen in Frankreich, die unter Atemnot leiden, das Leiden zu ersparen, wird Frankreich es sehr schwer haben, an großen, internationalen Projekten zu arbeiten, die weit schwieriger und komplexer sind.

Dieser Fall wirft ein sehr viel umfangreicheres Problem auf, das Auswirkungen auf alle EU-Bürger und deren tägliches Leben hat. Wenn ein Säugling mit einer seltenen Krankheit bewegungslos auf einer Intensivstation an ein Beatmungsgerät angeschlossen liegt, nicht das Recht auf eine hochspezialisierte, medizinisch nachgewiesene und kostengünstige Behandlung seiner seltenen Krankheit in anderen EU-Mitgliedsstaaten hat – wer hat dann überhaupt das Recht auf grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung?

Herr Präsident, dieses Schreiben, seine umfangreichen Beweise sowie die Unterstützungsschreiben machen sehr deutlich, dass die Ablehnung durch die L’Assurance Maladie unbegründet ist. Meine Partnerin und ich bitten Sie daher dringend, sich dafür einzusetzen, dass Lysiane die S2-Genehmigung erhält, die ihr die L’Assurance Maladie unrechtmäßig und ohne Sinn verweigert. Wir hoffen, bald von Ihnen zu hören. Vielen Dank.

Mit freundlichen Grüßen

Philippe Pakter und █████ ███████ – die Eltern von Lysiane
2 Rue Gérard Maire
69100 Villeurbanne
France

Unterstützungsschreiben Seite 4
Zusammenfassung des Streitfalls Seite 20
Hintergrundinformationen Seite 22
Medizinische Analyse Seite 33
Rechtliche Analyse Seite 62
Schlussfolgerung Seite 73